Deutschland wird kinderfreundlich
Ein kinderfreundliches Deutschland ist der Wunsch aller Kinder und deren Eltern. Die Realität sieht in der Bundesrepublik aber etwas anders aus. Über die Frage, was kinderfreundlich ist und was nicht, sind sich selbst Wissenschaftler und Erzieher nicht einig. Grundsätzlich gilt alles, was die besonderen Bedürfnisse im Kindesalter berücksichtigt, als kinderfreundlich. Dabei wird jedoch häufig vergessen, dass Kinderfreundlichkeit in erster Linie aus der Sicht von Kindern betrachtet werden muss. Ein kinderfreundliches Verhalten bedeutet zunächst einmal, Kindern gegenüber freundlich gesinnt zu sein, ihre Sorgen und Nöte zu verstehen und auf ihre speziellen Interessen einzugehen. Obwohl Kinderfreundlichkeit allgemein als selbstverständlich vorausgesetzt wird und zu den Merkmalen einer Demokratie gehört, gibt es hierzulande noch viele “Ausnahmen”, die das Gegenteil bezeugen.
Dazu zählen beispielsweise die Restaurants, die Kinder vom Besuch ausgeschlossen haben, mit der Begründung, dass Erwachsene nur so ungestört essen können. Oft wird Kinderfreundlichkeit gleichgesetzt mit dem Vorhandensein von ausreichend Krippenplätzen und Ganztagsschulen sowie der Möglichkeit für die Erziehungsberechtigten, die Elternzeit zu beanspruchen. Zur Kinderfreundlichkeit im Alltag gehören vor allem Kleinigkeiten, wie die Unterstützung von Kindern beim Überqueren einer Straße, die Wurstscheibe beim Metzger und der Verzicht auf eine Beschwerde, wenn es beim Kindergeburtstag nebenan einmal etwas lauter zugeht.
Ob Deutschland eine kinderfreundliche Gesellschaft ist, lässt sich zunächst nicht genau klären, da die Kinderfreundlichkeit aus verschiedenen Aspekten besteht. Der Schutz von Kindern vor häuslicher Gewalt sowie die gezielte Unterstützung von Familien mit Kindern auch im finanziellen Bereich gehört ebenfalls zu einem kinderfreundlichen Verhalten. Ausreichende Spiel- und Freizeitmöglichkeiten, die dem Bedarf von Kindern entsprechen, sind wichtig in einer Gesellschaft, die sich als kinderfreundlich bezeichnet.
Was ist nicht kinderfreundlich in Deutschland?
Deutschland wird zu Recht als Leistungsgesellschaft bezeichnet und gehört zu den erfolgreichsten Industrienationen weltweit. In einer von Leistungszwang, Stress und Hektik geprägten Gesellschaft bleiben die Ansprüche von Kindern an Aufmerksamkeit und Zuwendung oft auf der Strecke. Wenn Erwachsene selbst auf einfache Fragen ihrer Kinder oder den Wunsch nach einer Umarmung genervt reagieren, kann wohl kaum von Kinderfreundlichkeit gesprochen werden.
Fehlende Kita-Plätze, schlechte Pisa-Werte sowie Berichte über Kinderarmut sind weitere Hinweise darauf, dass kinderfreundliches Verhalten längst nicht selbstverständlich ist. Zur Durchsetzung ihrer Rechte werden bei uns bereits Kinder im Babyalter in bürokratische Prozesse einbezogen. Mangelnde Spielmöglichkeiten sowie die fehlende Sicherheit auf öffentlichen Spielplätzen sind nur einige Kritikpunkte, die im Zusammenhang mit der Kinderfreundlichkeit immer wieder zu hören sind. Zwischen den Ansprüchen der Kinder die der Verwirklichung kindgerechter Projekte gibt es eine teilweise erschreckende Diskrepanz. Dabei sollte eine kinderfreundliche Gesellschaft in der Lage sein, jedes Kind vor Gefahren zu schützen und Kindern ausreichend selbstbestimmte Zeit sowie die Möglichkeit, Chancen zu nutzen, bieten.
Fehlende Flexibilität bei den Betreuungsangeboten ist vor allem in ländlichen Gegenden, aber auch in manchen Großstädten immer noch ein Problem. Von zahlreichen Eltern wird Deutschland deshalb als kinderfeindlich betrachtet. Zu dieser Einschätzung tragen verschiedene Situationen im Alltag und Arbeitsleben bei, die den Rückschluss zulassen, dass viele Erwachsene wenig Verständnis für Kinder aufbringen. Von Diskriminierung ist auch bei der Wohnungssuche, bei der Familien mit mehreren Kindern regelmäßig benachteiligt werden, die Rede.
Wie kinderfreundlich ist Deutschland im europäischen Vergleich?
Der Wunsch vieler Eltern nach mehr Kinderfreundlichkeit wird sich möglicherweise nicht so rasch erfüllen, denn im europäischen Vergleich schneidet Deutschland schlecht ab.
Einer repräsentativen Umfrage zufolge, an der mehr als 15.000 Europäer aus 13 Ländern teilnahmen, wäre die Lebensqualität für Kinder in den vergangenen Jahren gesunken. Während Dänemark beim Thema Kinderfreundlichkeit europaweit an erster Stelle rangiert, landet Deutschland mit Abstand auf dem letzten Platz und ist deshalb das Schlusslicht bei der Befragung. In Sachen Kinderfreundlichkeit gibt es demnach hierzulande großen Nachholbedarf. Die Familienpolitik sieht in den einzelnen EU-Staaten sehr unterschiedlich aus, allerdings gibt es einige Gemeinsamkeiten. Wünschenswert wären mehr Respekt und Toleranz für das Verhalten von Kindern und für kindliche Belange. Das Erfolgsmodell Dänemark lässt die Vereinbarung von Beruf und Familie zu. In Deutschland ist die Verknüpfung beruflicher und privater Interessen für Eltern häufig mit Problemen verbunden.
Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde aber in den letzten Jahren viel unternommen. Deutschland nähert sich also langfristig der Familienpolitik skandinavischer EU-Länder an. In Westeuropa ist die Kinderfreundlichkeit in Ländern mit der höchsten Quote berufstätiger Frauen besonders hoch. Wenn dieser Trend in Deutschland erkannt wird, sollte kinderfreundliches Verhalten kein Problem mehr sein.
Im Jahr 2006 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend diese Webseite gestartet. Damit sollten die Kinder und die Familie mehr Aufmerksamkeit bekommen. Damals war Ursula von der Leyen noch Ministerin in diesem Ressort. Lang ist’s her.
Über die lobenswerte Aktion ist dann auch leider irgendwann Gras gewachsen und wir haben uns Anfang Juni 2020 entschlossen, die Seite wieder in neuem Glanz aufleben zu lassen. Mit dem Ministerium hat das Ganze natürlich jetzt nichts mehr zu tun. Es ist vielmehr eine Privatinitiative, die Kinder und Familien wieder mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft rücken soll.
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